Geboren 1960 in Saint-germain-en-laye ()
Lebt und arbeitet in Paris (Frankreich )
Biographie
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Biographie

Marie-Ange Guilleminot verlässt die Villa Arson 1981 mit einem Diplom in der Tasche und macht mit ihren Ausstellungen in New York oder in Israel international Karriere. Sie erhält 1997 auf der Biennale von Venedig mit Le salon de la transformation eine Sonderauszeichnung für ihre Vorführung von Mehrzweckobjekten.

Ihr Schaffen ist ein Kampf gegen die Festlegung von Formen, eine Suche nach der Unbestimmtheit eines Informationsträgers. Sie arbeitet mit mehreren Medien: dem Video, der Plastik und der Perfomance: ein Werk, das es bereits als Objekt gibt, wird zu einer Aktion oder einem Video, in denen sie die Beziehung zwischen ihrem Körper und diesem Objekt in Szene setzt. 1993 benutzt sie "Puppen" – weiche Formen aus Nylon, Körnern und Talg – die sie in ihrem Video Mes poupées knetet oder durch Dritte kneten lässt und eine Fotoreihe daraus macht.

Die Verwandlung ist der Prozess, der alle Werke Marie-Ange Guilleminot miteinander verbindet: fast jedes Werk muss bewegt werden, - wie bei Chapeau-Vie, einem Objekt, das sie 1995 für einen Freund entworfen hat, der sich ständig seinen Kopf anstieß, - oder bekommt eine neue Funktion zugewiesen. Zum Beispiel Paravent, eine zwölfeckige Struktur, die erst Massagesalon, Bienenstock und dann Speicherplatz ist. Hinter einem Objekt mit einfacher Form verbirgt sich eine Gebrauchsanweisung, die es bei jeder Vorführung von Neuem zu entdecken gilt. 1997 vermittelt CAURIS™, das auf der Verwandlungsausstellung Le Salon des transformations vorgestellt wurde, die für die Verwandlung eines Nylonstrumpfes in einen Rucksack erforderlichen Schritte.

Seit 1992 stellt sie eine Kleiderreihe her, maßgeschneiderte Kleidung, auf der anatomische Einzelheiten zu sehen sind: auf einem Kleidungsstück sind mit großer Exaktheit alle Leberflecken zu sehen, die sie auf ihrem Körper hat; auf ein anderes wurde ein künstlicher Nabel gestickt. Ihre Kleider werden in einem präzisen Kontext geschaffen. Sie führen zu einer Handlung, durch die sie auf eine Situation Bezug nehmen kann und die ihnen eine bestimmte Funktion zuweist.
Die Maße dieses Kleidungsstücks, bei dem nur Kopf und Füße herausschauen, verleihen ihm den Charakter einer Schutzhülle.
Im Juni 1994 verreist sie bei ihrem Werk Le mariage de Saint-Maur à Saint-Gallen alleine im Flugzeug in einem Hochzeitskleid, dessen Saum mit Blei beschwert ist. Am Flughafen wird sie erst vom ersten Mann begleitet, bei ihrer Ankunft vom zweiten erwartet. Sie bewahrt das Geheimnis ihres Handelns für sich, nur das Kleid, dessen jungfräulicher Charakter auf intime Weise verändert wurde, zeugt "von dem, was man lebt, und was der andere nicht errät"1.

Die Werke Marie-Ange Guilleminots suchen den direkten, fleischlichen Kontakt. Zu umklammernde Hände, Füße, die sich massieren lassen, "Puppen", die eifrig geknetet werden, jedes Werk stellt eine direkte, epidermische Beziehung zum willigen Betrachter her. Ihr Schaffen wendet sich an die Sinne, hauptsächlich an den Tastsinn, aber auch an den Geschmackssinn, wie bei Le miel du paravent en 1997, einer zwölfeckigen Struktur mit einem Bienenstock, die auf einem Lotusblumenbecken im Botanischen Garten von Bordeaux steht.
In Emotion contenue, einem Werk, das 1995 das auf der Biennale von Lyon vorgestellt wurde, steckt der Betrachter den Kopf in einen langen, weichen Schlauch, um sich ein Video zu betrachten. Es entsteht ein körperliches Verhältnis zum Werk, der Betrachter taucht in gewisser Weise in das Bild ein. Letzterer, der überbelichtet und durch das Rund des Schlauch begrenzt ist, verliert seine Materialität und seine Konturen.

Einer Tradition der westlichen Plastik, die auf Betrachtung beruht, stellt Marie-Ange Guilleminot Kommunikationssysteme über das Medium des Tastens entgegen. 1994 stellt sie in Israel Geste vor: Durch die Löcher in einem Paravent streckt sie dem Betrachteter in einer abwechselnd bittenden und anbietenden Geste ihre Hände hin. Dieser kann damit machen, was ihm gerade in den Sinn kommt.

Ihre Werke handeln immer von einer Dreierbeziehung: das Ich der Künstlerin, das Sie des Publikums und das Übergangsobjekt, das Kunstobjekt. Dieses Dreiecksverhältnis löst Mechanismen der Neugier aus – die den Besucher dazu bringen, die Werke zu berühren, - des Reizes, durch den sinnlichen Aspekt der Vorschläge – aber auch der Frustration – darüber, den Körper des anderen nicht in seiner Gesamtheit erfassen zu können.

Laetitia Rouiller

1. Zitat von Marie-Ange Guilleminot in Le Jardin des Modes, Oktober 1996.