![]() | Geboren 1957 in Bonneville () Lebt und arbeitet in (Deutschland ) | Biographie Bibliographie Liste expositions |
Nachdem Joël Bartoloméo auf der Fachhochschule sein Diplom im Fach Elektronik abgelegt hat, studiert er von 1979 bis 1983 an der Schule für visuelle Kunst in Genf. 1992 studiert er Ästhetik/audiovisuellen Film in Paris. Nachdem er gemalt, Super 8-Filme gedreht und Installation kreiert hat, interessiert er sich 1981 für das Medium des Videofilms. Von 1981 bis 1982 stellt er Selbstportraits her (Autoportraits à 24 images seconde).
1977 begegnet er Lili. Sie heiraten 1979. 1986 werden seine Kinder Fabian und Coline geboren. Die Familie geht 1993 nach Paris.
Von 1991 bis 1995 filmt der Künstler seine Frau und seine Kinder. Eine Periode bei Joël Bartoloméo, in der die Schranken zwischen familiärer Sphäre und künstlerischem Dasein fallen und beide Bereiche schließlich miteinander verschmelzen. Der Camcorder zeichnet in einer amateurhaften videographischen Schrift minutenlange Ausschnitte aus dem Alltagsleben auf. Man schickt ihm sogar seine Kassetten zurück, weil man glaubt, es handele sich um einen Irrtum, eine unglückliche Verwechslung des künstlerischen Werks mit privaten Familienfilmen. Er wurde zum Anthropologen des einfachen Lebens, seines Lebens. Er sucht die Risse der familiären Intimität und konzentriert sich auf Situationen, in denen Spannung entsteht, wie beispielsweise beim Essen (La Tarte au citron) oder bei einem Gespräch über die Erziehung der Kinder (Lili m'a dit). Die Spannung ist manchmal so geladen, dass man förmlich auf die Katastrophe wartet: "[…] ich möchte, dass dies geschieht, ich analysiere diese Situation und greife absichtlich nicht ein, sonst würde ich sie verfälschen (Kann man sich vorstellen, das Jean Rouch ein Ritual unterbricht?)" (1994)
1996 produziert das Bureau des Vidéos die Kassette Mes vidéos 1991-1995, auf der etwa dreißig, in sechs Teile aufgegliederte Werke zu sehen sind: A quatre ans je dessinais comme Picasso (1991); Les expériences du Palais de la Découverte (1992-94); Petites scènes de la vie ordinaire 1 (1992-93) und 2 (1994-95); Les grands moments de la photo de famille (1992-93); Mes films de fac (1994-95). Zahlreiche Videos in Form kurzer, intensiver Sequenzen, in denen er seinen Privatbereich und seine Umgebung aktiv einbezieht. Ein Alltag in seinem vollen dramatischen Ausmaß, ein Alltag, der das Drama in das Tagtägliche verlagert. Der in diesen ungezügelten Momenten überrascht angegriffene Familienkokon spaltet sich durch eine existentielle Krise der Mutter, die kindliche Heftigkeit der Zwillinge und die Trägheit des Vaters. "Allem Anschein zum Trotz handelt es sich nicht um Familienfilme […] sondern vielmehr um Anti-Familienfilme, in der die herrschende Spannung paradoxerweise die Kräfteverhältnisse mit den affektiven Banden verknüpft." sagt Joël Bartoloméo 1998. Er sagt auch : "Ich glaube, dass die Gefühle, von denen ich rede, universell und unveränderlich sind. In diesen Filmen wird die Familie zum Mikrokosmos mit Universalcharakter. Unter scheinbarer Einfachheit im Improvisationsstil sieht man sich einer Realität gegenüber, die mittels eines bestimmten Filmvokabulars wahrgenommen wird: "Über das Drehen von Filmen, wie es in den Anfängen üblich war (Louis Lumière), habe ich mit dem Drehen autonomer Sequenzen begonnen, die einen Anfang und ein Ende hatten und kaum geschnitten. Ich habe so lang gesucht, bis ich sehr lebendige, heftige Situationen fand, in der sich die Handlung innerhalb kürzester Zeit, nämlich in weniger als 5 Minuten, auflöst." (1994) Joël Bartoloméo wartet manchmal Stunden auf die gewünschte Szene. Er versucht, diese Momente "wie ein Fotograf mit dem richtigen Blickwinkel" zu erfassen. Diese Szenen gibt es nur, wenn alles zusammen trägt, die Spannung groß genug, der Ort der richtige und das Licht ideal ist."
Das Werk Bartoloméos ist wie ein langsamer Reifeprozess, eine Öffnung, durch die der Blick auf die Familie zunächst Selbstportraits entstehen lässt und später auch die gesellschaftliche Umgebung erfasst (Ma vie sociale, 1995-2000) 1.
1999 widmet er sich wieder Installationen (Désir), und zwar in der Galerie Alain Gutharc (Paris). In der Synopsis zu diesem Werk heisst es: "Ich hatte Lust, Kontakt zu diesem Mädchen zu haben. Ich wusste, sie malte und boxte. Ich bat sie, mich niederzuboxen." Der Trieb nimmt hier überhand und stellt die Geschichte in den Hintergrund. Drei Bildschirme mit der dominierenden Farbe Rot, der Farbe des Fleisches, gewaltig, sinnlich. Illusion eines Kampfes, Rhythmus der Schläge, Liebesspiele, Ausatmen, trügerisches, abstraktes Einatmen. Der Verfasser nennt das Werk: "Aus dem Lateinischen desirare, die Abwesenheit von etwas bereuen". Seitdem scheint Joël Bartoloméo sein Schaffen außerhalb des Kreises der Familie fortzusetzen. Im April 2000 lässt er in der gleichen Galerie rote Kunststoffblumen auf eine Musik von Lou Reed tanzen.
Einige Jahre zuvor, am 24. Oktober 1995, schrieb Joël Bartoloméo in sein Tagebuch: Hören Sie auf, sich Konzepte, Absichten, Vorrichtungen auszudenken, da, wo es nur Trieb, Bedürfnisse, Wesensarten gibt.."2
Dominique Garrigues
1 Herausgegeben im Februar 2000 bei MK2 projectcafé (Paris).
2 Maintenant ou jamais, Joël Bartoloméos Tagebuch, Paris, Alain Gutharc, 1997.