Geboren 1957 in Bern (Schweiz)
Lebt und arbeitet in Paris (Frankreich )
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Biographie

Nachdem er 1983 sein Diplom an einer Kunstschule in Zürich erhielt, lässt sich Thomas Hirschhorn 1984 in Paris nieder und beginnt eine Zusammenarbeit mit Grapus, einer Gruppe politisch engagierter Grafiker. Enttäuscht von der internen Funktionsweise des Kollektivs entscheidet er, sich von der Last der Tradition eines politischen Kampfes zu befreien, der auf Opposition und Negation beruht, und schlägt ab 1986 eine persönliche künstlerische Karriere ein.

Er schafft die Verbindung zwischen seiner Erfahrung als Grafiker und seinen ersten künstlerischen Arbeiten über eine Serie von Slogan-Zeichnungen - SVP, J'ai faim - mit Kugelschreiber auf Hunderten von Verpackungskartons.
Er lehnt kategorisch die in der Bildhauerei als nobel bezeichneten Materialien - wie z.B. Marmor- ab, um eine Sammlung von auf der Straße gefundenen „Abfällen" zusammenzutragen. Diese Materialien bilden die Basis für sein bildhauerisches Vokabular: Holzlatten, Plastikstücke, Bilder aus Illustrierten, Aluminium.
Dann integriert er die Verwendung von Klebeband in seine Skulpturen, um Zeichen zu schaffen.
Diese Materialien in Gemeinqualität bilden nach der Idee ein pseudo-wissenschaftliches Chaos.
Ebenso bevorzugt er bei der Vorführung von Videos die Verwendung eines einfachen Monitors an Stelle von Leinwänden und Videoprojektoren, die seiner Ansicht nach zu nahe bei den kinematographischen Verfahren liegen.

Er verwendet Techniken, die aus dem Dadaismus und der Avantgarde zu Beginn des Jahrhunderts stammen. Er bedient sich der Collage, um den fifty-fifty zu schaffen, einen Prozess, der darin besteht, die Hälfte der Oberfläche eines Objekts durch gefundene oder gezeichnete Bilder abzudecken und die andere Hälfte freizulassen, damit die betrachtende Person sie füllen kann. Der fifty-fifty stellt für Thomas Hirschhorn die utopische Idee einer gerechten Teilung dar - in der Politik wird die Mehrheit bei 51 % erreicht.
Das „Lay-out" ist ein Vorgang der Abdeckung des Raums mit Pappbändern, Sperrholz, farbigen Klebstoffen und Bildern, die in Illustrierten gefunden wurden. Die Moins sind Arbeiten, bei denen die Oberfläche des Trägers weniger als die Hälfte von Klebstoffen und verschiedenen Drucken abgedeckt ist.
Auch wenn die praktische Ausführung von Thomas Hirschhorn als handwerklich in dem Sinne erscheinen kann, indem die Idee der Arbeit hervorgehoben wird, so ist die Vorbereitung seiner Träger manisch und besessen. Nichts gibt einen Vorgeschmack auf das plastische Werden des Werks, er bedient sich vorbereiteter Träger um darin während des Auftragens die Form zu erfinden, und dies ausschließlich in Abhängigkeit vom Ort.
Zur Bezeichnung seiner Werke zieht er dem Ausdruck Installation - den er mit einem Fehlschlag der Taxonomie durch das Kunstmilieu zeichnet  - den der Skulptur, „einer von Raum umgebenen Form" oder des „Display", englischer Ausdruck, der gleichzeitig Zurschaustellung und Vitrine bedeutet, vor.
Thomas Hirschhorn begann mit der Ausstellung seiner Träger auf der Straße, da er sie woanders nicht zeigen konnte. Er führte diese Besetzung des öffentlichen Raums zum Beispiel 1998 mit der Aufstellung von Altären in den Straßen von Basel im Gedenken an Piotr Mondrian, Raymond Carver, Ingeborg Bachmann und Otto Freundlich durch. Er lehnt es aber ab, die Verwendung dieser öffentlichen und spontanen Huldigungsform als kritischen Akt gegenüber den Institutionen anzusehen.
Das Prinzip des Auftragens variiert in Abhängigkeit des Ortes und seiner Bedeutung: Manchmal gibt er seine Werke auf, oder er verteilt sie in Form von Flugschriften, legt sie in ein Regal oder stapelt sie in einer Ecke. Sein Kompositionsprozess endet manchmal an der Übersättigung des Ausstellungsortes, den er bis zum Exzess anfüllt. Bei der Ausstellung Invitation au Jeu de Paume 1994 definiert sich sein „Lay-out" über vier Leseniveaus von plastischen Elementen: auf dem Boden, auf Tischen, an den Mauern und an der Decke aufgehängt.

In der Nachfolge seiner Arbeit mit Grapus legt Thomas Hirschhorn einen Akzent auf den sozialen Aspekt seiner Arbeit. Für die Ausstellung La Beauté in Avignon im Jahr 2000 zeigt er Deleuze Monument im Garten eines Stadtteils mit Sozialwohnungen, außerhalb der Befestigung dieser touristischen und reichen Stadt. Seine Skulptur, die zusammen mit den Bewohnern des Stadtteils aufgestellt wurde, besteht aus vier untereinander verbundenen Teilen. Die Wahl von Thomas Hirschhorn fiel auf Gilles Deleuze, dem 1995 verstorbenen französischen Philosophen, da für ihn schön ist, „was ihn zum Nachdenken anregt, sein Gehirn zum Arbeiten bringt"1.

Das Steckenpferd von Thomas Hirschhorn ist eine Obsession für die Politik, nicht in der Idee, „politische Kunst zu machen, sondern die Kunst politisch zu machen"2.
Sein Werk World Corners, das 1998 in der Chisenhale Gallery und 1999 im Musée d'art moderne von Saint-Etienne gezeigt wurde, ist eine Forum zur weltweiten Ausdehnung. In den vier Ecken des Saals werden vier Themen - die Kultur, die Religion, die Wirtschaft und die Politik - über hingekritzelte und untereinander durch Aluminiumnetze verbundene Bilder behandelt.
Thomas Hirschhorn rechtfertigt die Verwendung aktueller Themen durch seinen Willen, beim Besucher ein politisches Bewusstsein zu entwickeln und die Bedürftigkeit der von den Medien gelieferten Informationsfetzen zu überwinden. Sein gewissermaßen messianischer Vorstoß versteht sich als permanenter Kampf gegen die persönliche Unbildung, die durch die Informationssysteme hervorgerufen wird.

Laetitia Rouiller

1. Auszug aus der Präsentationsschrift von Deleuze Monument.
2. Gespräch mit Alison Gingeras im Oktober 1998 für Art Press.