Geboren 1960 in (Canada)
Lebt und arbeitet in (Canada )
Biographie
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Interview - 1994

Biographie

Stan Douglas, 1960 in Vancouver (Kanada) geboren, studiert in seiner Geburtsstadt, am Emily Carr College of Art and Design. Seine ersten Multimedia-Installationen und Videoarbeiten entstehen zu Beginn der 1980er Jahre, in einer Zeit, in der er ebenfalls als Disk-Jockey im Nachtclub Faces (Vancouver) arbeitet, den es heute nicht mehr gibt. Seit 1983 widmet er sich ebenfalls der Fotografie.

Die erste Einzelausstellung des Künstlers findet 1987 in der Art Gallery of Ontario in Toronto statt, mit Installationen wie Songs of Experience (1985), Panoramic Rotunda (1985), Onomatopoeia (1985-86) und Overture (1986), ebenso wie der Serie TV Spots (1987). Zahlreiche Einzelausstellungen folgen, sowohl in kanadischen als auch amerikanischen oder europäischen Museen, wie der Contemporary Art Gallery, Vancouver (1988), der Galerie Nationale du Jeu de Paume, Paris (1991), dem Musée national d'art moderne – Centre Pompidou, Paris (1994), dem ICA, London (1994), dem DIA Center for the Arts, New York, zusammen mit Douglas Gordon (1999), der Vancouver Art Gallery, Vancouver (1999), dem Art Institute of Chicago, Chicago (2000), der Kunsthalle Basel (2001) oder der Serpentine Gallery, London (2002). Stan Douglas nahm ebenfalls dreimal an der Documenta teil (1992, 1997 und 2002), an der Biennale in Venedig, 2001, und an wichtigen Gruppenausstellungen wie Passages de l'Image im Musée national d'art moderne – Centre Pompidou 1990, oder The Projected Image im San Francisco Museum of Modern Art 1991.

Stan Douglas, der in der kanadischen Kunstszene eine wichtige Rolle spielt, schliesst sich 1987 dem Team der Or Gallery an, einem von Künstlern aus Vancouver geleiteten Kunstzentrum. 1990 organisiert er dort vor allem eine Reihe von Konferenzen über zeitgenössische Kunst in Britisch-Kolumbien, mit dem Titel Vancouver Anthology, und veröffentlicht 1991 das Werk Vancouver Anthology : the Institutional Politics of Art. Stan Douglas lebt und arbeitet in Vancouver.

Sein künstlerischer Werdegang besteht darin, in den Multimedia-Installationen und Videos  die technischen Parameter und konzeptuellen Grundlagen des Kinos und des Fernsehens aufzubrechen, um die Position des Zuschauers den Medien gegenüber neu zu definieren. Mit den Mitteln der Montage von Bildern, Ton und Texten, im Bruch mit den von der Unterhaltungsindustrie definierten Film- und Fernsehsprachen, präsentiert das Werk Stan Douglas' dem Zuschauer neue Sichtweisen auf  diese Medien. Dabei zielt er vor allem darauf ab, die Bedingungen von Filmvorführungen aufzudecken und den Aufbau von Erzählungen zu untersuchen. Auf diese Weise führt die Analyse der Elemente, die  Film und Fernsehen ausmachen, den Zuschauer dazu, sich der traditionell von dieser Art von Medien angenommenen Regeln bewusst zu werden.

Diese Vorgehensweise wird vor allem in den TV Spots (1987-88), einer Serie von kurzen Videos von jeweils 15 bis 30 Sekunden angewendet, die entworfen  wurden, um die Werbung des Fernsehprogramms, die regelmässig die Sendungen unterbricht, einzumischen. Stan Douglas, der von dem Prinzip ausgeht, dass der kulturelle Verwirklichungsprozess eines Themas von der jedem Medium inhärenten Technologie bestimmt wird, die sich wiederum in einen physischen und zeitlichen Raum einschreibt, bringt die herkömmliche Flut von Bildern und Erzählungen durcheinander, um den Zuschauer zu destabilisieren. Die TV Spots zeigen systematisch das Gegenteil herkömmlicher Werbung : Kein Produkt wird angepriesen, spektakuläre Effekte werden ausgelassen, es gibt keine Dialoge, die Geschichten sind unfertig. Die TV Spots entsprechen also in keinster Weise den Erwartungen des Zuschauers, sie führen im Gegenteil zu einem Bruch im gewohnten Verlauf des Programms. Das gleiche Prinzip einer Sprache, parallel zur konventionellen Sprache wird in den zehn Videos benutzt, die die Serie der Monodramas (1991) bilden : Sie bestehen aus Mini-Geschichten von jeweils 30 bis 60 Sekunden, die unter den gleichen Bedingungen wie die TV Spots gesendet werden sollen. Wie diese sind sie in realer Zeit gefilmt und greifen auf keinen in Fernsehgeschichten klassischen Effekt zurück. Die Zeit erscheint verlangsamt, während die Intrigen des Monodramas, mit einer linearen narrativen Struktur, ein Gefühl der Enttäuschung beim Zuschauer hinterlassen, so sehr ist ihr Inhalt unnötig und leer. Parallel zu diesen beiden Fernsehprojekten war Stan Douglas Kurator der Ausstellung Samuel Beckett : Teleplays, die 1988 in der Vancouver Art Gallery gezeigt wurde, und eine Reihe von Werken zeigte, die Beckett speziell für das Fernsehen geschaffen hatte. Zwischen 1989 und 1992 wurde diese Ausstellung in Kanada und den Vereinigten Staaten, in Australien, Frankreich und Italien präsentiert.

Während die TV Spots und Monodramas die Erwartungen der Zuschauer an das Fernsehen analysieren, konzentrieren sich die Installationen von Stan Douglas vor allem auf die Beziehung zwischen der das Kino und das Bewusstsein der Zuschauer ausmachenden Elemente. Der Film, aber auch die Projektion von Diapositiven (Jazz, 1981, Deux Devises : Breath & Mime, 1983), unterstreichen die mechanischen Bedingungen des Films (eine Abfolge von Bildern), die es dem Künstler ermöglichen, die Prinzipien des Aufbaus einer Erzählung und ihre Auswirkungen auf den Zuschauer zu untersuchen. In Overture (1986) betont Stan Douglas die Wirkung der Unterbrechung im Verlauf der Erzählung. Diese Installation kombiniert die Bilder eines Dokumentarfilms in Schwarz-Weiss, den die Edison Film Company 1899-1901 realisisert hat, und zwar mit einer Tonmontage, die Ausschnitte des Romans Auf der Suche nach der  verlorenen Zeit von Marcel Proust verwendet. Der Dokumentarfilm besteht aus einer Strecke in den Rocky Mountains, die von einer Lokomotive aus gefilmt wird. Sequenzen des Bergrutsches wechseln  mit Passagen in der Dunkelheit des Tunnels ab, während Fragmente des Proust-Textes, von Thierry Kuntzel  im Off gelesen, an die flüchtigen Passagen zwischen Wach- und Schlafzustand erinnern, ebenso wie an den Bewusstseins- und Wahrnehmungsgrad, die diese vorübergehenden Zustände begleiten. Wenn der Zug in die Dunkelheit des Tunnels einfährt, wird der Text unterbrochen, so dass  Projektion und Narration parallel funktionieren, Der Zuschauer wird verschiedenen Wahrnehmungszuständen ausgesetzt, die durch die Abwechslung visueller Sequenzen mit Ton und schwarzer Sequenzen ohne Ton entstehen, und den verschiedenen, im Text von Proust beschriebenen Zuständenen entsprechen. Die in Overture enthaltenen Begriffe von Brüchen, Fragmenten und Leere, die durch die Bild- und Textmontage angedeutet werden, finden sich im gesamten Werk des Künstlers wieder, vor allem in der Installation Hors-Champs (1992), die zwei Versionen eines gefilmten Jazzkonzerts zeigt : Die erste Version ist auf herkömmliche Weise geschnitten, während die zweite Fassung Bilder der Musiker beim Ausruhen zeigt und das schnelle Abtasten durch die Kamera beibehält, die wieder in die Ausgangsposition zurückkehrt etc.  – alles Elemente, die Bruchstellen in den ununterbrochenen Fluss der Erzählung einführen.

Was den Inhalt betrifft, lenken die filmischen Installationen Stan Douglas' den Blick des Zuschauers oft auf die Schwächen des Modernismus . Durch seine Filme beschwört er präzise historische Ereignisse und lokale Geschichten herauf, und stellt damit bestimmte Ideale der modernen Welt in Frage. In Pursuit, Fear, Catastrophe : Ruskin B.C. (1993), Projektion eines 16 mm-Schwarz-Weiss-Films, der von einem auf elektronischem Klavier gespielten Musikstück begeleitet wird, deckt Stan Douglas durch die Geschichte des mysteriösen Verschwindens eines japanischen Arbeiters, der sich in der kolumbisch-britischen Stadt Ruskin (benannt nach dem britischen Kunstkritiker und Soziologen des 19. Jahrhunderts) niedergelassen hatte,  das Scheitern der von diesem entwickelten utopischen Theorien auf.  Die musikalische Begleitung auf dem Klavier – eine Komposition von Arnold Schönberg – bezieht sich wiederum auf die Anfänge des Kinos, als die Musik, in Abwesenheit von Dialogen, den narrativen und emotionellen Erzählstrang des Films betonte. Die Installation Der Sandmann (1998) behandelt ebenfalls die Erfahrung und Auflösung eines Projekts der modernen Welt, in diesem Falle das Ende des  Kommunismus in Osteuropa, während Win, Place or Show (1998) die städtischen Bauten der 1950er und 60er Jahre, die die Lebensbedingungen der am meisten benachteiligten Bevölkerungen verbessern sollten, denunziert. Die Installation Le Détroit (2000), die die Raumaufteilung von Hors-Champs wieder aufgreift, handelt, in der Form eines Films, eines Thrillers, vom Untergang der Stadt Détroit, die nach einer Reihe von Konfrontationen zwischen Einwohnern zum Symbol für eine gefährliche Stadt geworden war. Stan Douglas hat ebenfalls den Verfall dieser Stadt in einer Reihe von Fotografien aufgedeckt, in denen Ruinen und verlassene Bauten, ohne jegliche menschliche Präsenz, überwiegen. Zwei Werke bilden den Ursprung der Installation Le Détroit : zum einen der Roman von Shirley Jackson The Haunting of Hill House, und zum anderen die Chronik Legends of Le Détroit der Historikerin Marie Hamlin. Tatsächlich nutzt Stan Douglas ziemlich systematisch bereits existierende Elemente, wie Bilder aus Archiven, Musik und Fragmente literarischer Texte, die der Aneinanderreihung von Bild, Ton und Text im Kino entsprechen, das heute das privilegierte Forschungsfeld Stan Douglas' bleibt.

 

Frédérique Baumgartner