Face of the Earth, 1974

NTSC, Ton, Farbe


Face of the Earth führt den Zuschauer in eine mystische Welt, in der die Bühne, das Gesicht des Künstlers, in einer umgelegten, waagrechten Perspektive zu sehen ist. Vito Acconci liegt auf dem Boden. Die Kamera fixiert sein Gesicht von oben in Nahaufnahme, Hals und Kinn sind im Vordergrund.

Der Körper wird hier sowohl im körperlichen als auch metaphorischen Sinn zum Schauplatz. Die Bewegung der Hände und Finger des Künstlers auf seinem Gesicht verwandeln dieses in ein Gelände mit Ebenen und Gebirgen. Der Bericht eines Cowboys, gesummte Melodien und das Traben eines Pferds versetzten uns in die legendäre Welt des amerikanischen Wilden Westens. Die Geräuschkulisse wird durch die auf den Kopf klopfenden Finger und das Schnalzen der Zunge erzeugt.

Der Monolog bringt Emotionen ins Spiel und wirft Fragen über die kulturelle und individuelle Identität auf: "off my head", "where did I come from", "just ridding […] a new desert […] where should I go ? […]" 1 Der Spaziergang der Finger verwandelt sich mit narrativer Intensität in überdrüssige, beunruhigte streichelnde und reibende Bewegungen. Die Reise in die Zeit kontrahiert sich, ein Leben zieht mit dem Überdruß sich wiederholender Tatsachen, Ängste, Träume, Anstrengungen, Zusprüche und Motivationen vorbei ("an other town, an other woman, an other woman […]" 2). Das Relief der Landschaft, an das die Bewegung der Hand erinnert, wird zur Metapher für die Rhythmen des Gelebten. In diesem Durcheinander wird ein Lebensgrund genannt: Es handelt sich weder um Geld noch Bildung, sondern um die Kontinuität des Lebens und dessen Endpunkt: "Just keep going", "I become a part […] of the rock, of the trees […] I know what everything been" 3.
Die amerikanische kulturelle Welt und das Gesicht bestehen ebenfalls in der Installation Body Building in the Great Northwest (1975) nebeneinander. Die nordamerikanische Landschaft wird durch die Projektion eines Films (auf den Boden) und Dias großer amerikanischer Marken, wie Coca-Cola, gezeigt. Auf einem schräg stehenden Monitor läuft das Video mit Vito Acconcis Gesicht. Landschaft und Gesicht sind räumlich voneinander getrennt zugunsten eines kritischen Verhältnisses, das durch die Blickrichtung des Künstlers und seinen Monolog eingeführt wird, in dem er den Zuschauer über seine eigene Wahrnehmung, seine Position und seine Beziehungen innerhalb dieser neu erschaffenen Welt befragt.

Ob durch die Legende oder die amerikanische gesellschaftliche Realität, Face of the Earth und die Installation Body Building in the Great Northwest erinnern an die kritischen Werke amerikanischer Künstler der Jahre 1965-70 über kultursoziologische, geschichtliche oder imaginäre Tatsachen (unter anderem die amerikanischen Flaggen von Jasper Johns).

Thérèse Beyler

1 "Lass mich einfach vergessen", "von wo ich kam", " und warum ich hier […] durch eine neue Wüste reite […] wo sollte ich hingehen? […]"
2 "eine andere Stadt, eine andere Frau, eine andere Frau […]"
3 "einfach, weitermachen", "ich werde zu Stein, zu Bäumen […] ich kenne das Wesentliche der Dinge."