Ura Aru (The Backside Exists), 1985 - 1986
NTSC, Ton, Farbe
Mit Hilfe eines Stipendiums konnte Gary Hill in Japan arbeiten. URA ARU ist das Ergebnis dieser Konfrontation mit der orientalischen Kultur. Der Künstler war es sich schuldig, in dieses Land zu gehen, wo es keinen Unterschied zwischen Zeichen und Gegenständen, zwischen der Darstellung und der Welt gab, denn jedes Ding ist dort ein Zeichen, und jedes Zeichen birgt ein weiteres.
Gary Hill ist gedanklich betrachtet dem japanischen Zeichenkonzept sehr nah. In URA ARU (Ura : umgekehrt, Aru : Existenz) stellt Gary Hill Überlegungen zu den verschiedenen Arten von Palindromen und deren Wechselwirkung in Bezug auf die Doppelung, das Spiegelverkehrte, dem Richtig- und Falschherum und die Symmetrie an. Das geschriebene Palindrom ist ein Ausdruck, den man von hinten nach vorne lesen kann ; das akustische Palindrom ist ein Ausdruck, den man rückwärts aufsagen kann (z.B. Asu, morgen, die kommenden Tage wird zu Usa, Melancholie; hier handelt es sich um ein geschriebenes und akustisches Palindrom zugleich). Die Palindrome von Gary Hill ändern ihren Sinn mit dem Sinn der Lektüre. Es handelt sich um ein umkehrbares, nicht aber um ein symmetrisches Zeichen, - um zwei Wörter in einem.
Die Vorrangstellung, die man im Westen dem in der Form verwurzelten Sinn gibt, wird hier von innen her angegriffen. Der Sinn taucht in der Abfolge des Zeichens auf, in der Richtung, die man gewählt hat, um es Bedeutung tragen zu lassen. Das heißt, daß die Frage des Sinnes bereits die Begriffe von Raum, Zeit und Werden betrifft. Und genau das ist es, was die Videobildherstellung von Gary Hill mit den Einblendungen, Umkehrungen und Bewegungen von Texten auf dem Bildschirm zeigt. Der Text ist lebendig. Das Gesagte ist kein Logos, eine Art, über die Welt zu reden, sondern vielmehr die Entfaltung der Welt selbst. Das Leben wird somit zu etwas Geheimnisvollen, das sich mit einem heiligen Zauber umgibt. Die Nô-Riten, die Masken, die bedeutungsvollen Gesten und Bilder von URA ARU, die einem Zeremoniell gleichzusetzen sind, führen uns in ein Textgewirr, das es zu entknoten gilt.
Durch eine videographische Trickaufnahme erzielt Gary Hill die Umkehrung. In der Fortsetzung erscheint ein und dasselbe Videofragment erst richtig- und dann falschherum ; während der Übergang zum Umgekehrten ungewöhnlich im Bild ist, produziert die Rede weiterhin ganz normal den Sinn (den Sinn des umgedrehten Wortes) ; wo am Anfang Bild und Ton spontan miteinander verbunden werden, löst die Umkehrung das Bild von der Rede und läßt die Trennung, die Autonomie beider Elemente zu Tage treten. Der Zusammenhalt des Zeichens ist in der japanischen Kultur und in der Welt Hills demnach niemals definitiv, sondern wird unablässig umgestellt.
Paul-Emmanuel Odin