Merce by Merce by Paik, 1975

NTSC, Ton, Farbe


Das Werk Merce By Merce By Paik ist aus Blue Studio: Five Segments (1975-76) von Merce Cunningham und Charles Atlas, und Merce and Marcel (1978) von Nam June Paik und Shigeko Kubota gebildet.
Nach A Tribute to John Cage (1973) kreiert Nam June Paik in Form von Fernsehprogrammen gestaltete Videowerke, die John Cage und Fluxus nahestehende Avantgarde-Künstler mediatisieren oder diesen huldigen. Merce By Merce By Paik zeigt die postmoderne Konzeption des Tanzes von Merce Cunningham, der, wie die Form des Titels angibt, aus zwei Teilen gebildet ist. Name June Paik zitiert Blue Studio, ein Videotanz von 1975. Er entwickelt unter dem Titel Merce and Marcel die Konzeption des Tänzers, indem er seine Hauptargumente in das Bild aufnimmt und sie durch auf dem Bildschirm zu lesende Sätze befragt; dann gibt er dem Werk einen Kontext und befragt die Zeit durch ein rhythmisches sequentielles Spiel.
Das Werk öffnet sich auf eine doppelte Sequenz mit einem Telefongespräch zwischen Merce Cunningham und Jasper Johns in Off-Stimme und dem Bild des tanzenden Choreographen, das in eine Sequenzaufnahme einer New Yorker Straße eingeblendet wird. Diese Einführung in das Werk und die Compagnie Merce Cunningham ist aus Indizien gebildet, jedoch ohne Definition der Beziehungen. Der Maler Jasper Johns war der künstlerische Berater der Compagnie. Der Tänzer bewegt sich in einem begrenzten Raum, dessen Konzeption von der Orthogonalität, der Vertikalität und der ununterbrochenen Bewegung der Stadt bestimmt wird.
Die Sequenzen von Blue Studio berichten über den Beginn des Videotanzes, der damals eine Arbeit der Videoregie war: die Aufzeichnung auf blauem Untergrund, die Einblendung, der Dekorwechsel, die Verdoppelung und die Überlagerung. Der Videotanz entwickelte sich dann weiter zu einer Multiplizierung der Zahl der Kameras - und infolgedessen der Aussichtsstandpunkte auf die Tänzer - und veränderte damit den frontalen Standpunkt der Theatralität.
Blue Studio
zeigt mehrere Modelle. Merce Cunningham und ihr Double (das durch die Linie der Konturen ihres Körpers definiert wird) folgen der gleichen Bewegung. Der Tänzer erscheint mehrere Male auf dem gleichen Bildschirm, wo er, in unterschiedlichen Farben gekleidet, verschiedene Choreographien ausführt. Diese Gleichzeitigkeit wird durch die Collage und die Einblendung realisiert. Die Räume folgen aufeinander und vermischen mehrere Referenzen: die geschlossenen Räume des Studios und des Fernsehers, die Landschaft (im Hintergrund ist das Vorbeiziehen einer Straße und des Meers zu sehen), die Gegenüberstellung historischer Sprachen des Tanzes und instinktiver Verhaltensweisen (der Tänzer wird in die Schwarzweiß-Aufzeichnung eines klassischen Ballets eingeblendet, und dann folgen als Überlagerung auf dieser Einblendung das Verhalten und das Quaken eines Frosches, das Bellen eines Hundes und der Schrei eines Gorillas), der unterteilbare Raum des Bildschirms (der Tänzer verschwindet in einem unsichtbaren Raum, der von einer abstrakten Linie auf dem Bildschirm definiert wird, dann kommt er im gleichen Augenblick von rechts, von links und von oben auf den Bildschirm und verleiht den Eindruck eines richtungslosen Raums. Das Video gibt dem Tanz die Möglichkeit veränderbarer und erfindbarer Räume. Merce Cunningham verändert den Dekor oder den Raum durch eine Art Fernseh-Zapping. In diesem ersten Teil brechen der Tanz als Ausdruck und der historisch determinierte theatralische Raum theoretisch zusammen.
Die Videotanz-Sequenzen sind vertont, obwohl Merce Cunningham die Bestimmung des Tanzes durch die Musik ausschließt. Einzelne oder gemischte Off-Stimmen tragen kurze biographische Angaben, Äußerungen von und über John Cage, Unterhaltungen und Gedanken über die Zeit vor. Musikauszüge (insbesondere von John Cage), elektronische Töne und Geräusche (Umweltgeräusche, Unterhaltungen, Bellen usw.) folgen aufeinander und überlagern sich.
Blue Studio wird von s
ehr kurzen kontextbildenden Sequenzen und Auszügen aus Global Groove (Musik-Clips und asiatische Tänzerinnen) unterbrochen. Das Porträt von John Cage erklärt die Beziehungen zwischen dem Komponisten und dem Choreographen, die intime und die künstlerische Beziehung, mit gemeinsamen Kreationskonzeptionen und -strategien (der Zen, der sich der Konzeption des inspirierten Künstlers und der Kunst als Ausdruck eines Individuums gegenüberstellt, und Darstellung von Gefühlen, Emotionen und Themen, Zufall, Collage, Happening oder Event, unkonventionelle Orte, usw.) und seine Teilnahme an der Compagnie als Komponist und Musikleiter.
Ab dem Ende des ersten Teils und im zweiten Teil stellt Nam June Paik die Zeit den Raum- und Dekorveränderungen und dem langsamen Rhythmus der Sequenzen von Blue Studio gegenüber. Dieses Konzept hat eine zweitrangige Stellung in der Definition des Tanzes von Merce Cunningham, der auf der ständigen Bewegung des Lebens fundiert ist, wie Nam June Paik zeigt, indem er die Argumente des Tänzers durch das Bild in Beziehung bringt: die Bewegung als Instinkt (der Künstler fügt der vorausgehenden Tierreferenz die ersten Schritte eines Kindes hinzu, und fragt sich " Is this dance? " 1, dann nimmt er diese Sequenz wieder auf und antwortet: " Yes. May be. Why not? " 2, der Ausdruck einer Energie (ein Auszug aus einem Kung-fu-Film), die ständige Bewegung in der Natur, die auch der ununterbrochene Strom der Zeit ist (auf den Niagarafällen tanzen mit Solarisationseffekten gefilmte Silhouetten), und schließlich die ununterbrochene soziale Tätigkeit, die insbesondere durch den städtischen Fahrzeugverkehr verdeutlicht wird (der Künstler zitiert die dem Band Sweet Verticality (1974) von Bill Gwin entnommene Sequenz der New Yorker Taxis).
Nam June Paik gibt dieser Konzeption einen historischen Zusammenhang: durch ein Porträt von Descartes, durch ein Travelling über die Videoinstallation von Shigeko Kubota, Nu descendant l'escalier (das sich auf die Zergliederung der Bewegung in dem 1911 von Marcel Duchamp geschaffenen Gemälde bezieht), Merce Cunningham in der Galerie Leo Castelli (die Institutionen für plastische Kunst waren die ersten, die die Arbeit des Choreographen anerkannt und gefördert haben), Gespräche von Marcel Duchamp, Vögel, Fische und andere Unterhaltungs- und Konsumsequenzen, die an diesem Streifzug teilnehmen.
Die Gespräche werden nicht als Gegenstände des Wissens dargestellt, sondern als Aufzeichnungen aus der Vergangenheit, die heute als für die Benutzung des Video bestimmtes Material existieren, wie dies für den Stein und die Skulptur der Fall war. Die Arbeit ist die der durch die sequentielle Gestaltung erhaltene Zeit: teilen, hinzufügen, unterbrechen, rechts oder umgekehrt lesen, den gleichen Augenblick wiederlesen. So kreiert Nam June Paik einen aus Sequenzen gebildeten Tanz. Dieser verdeutlicht gewisse Bewegungen (die hartnäckige Wiederholung eines kurzen Fragments und einer Aufzeichnung von Marcel Duchamp enthüllt seine Gestik). Der Tanz geht über ins Lächerliche und suggeriert den Immobilismus innerhalb einer Epoche, eines Stils oder einer Form (der Beginn der beiden Gespräche von Russel Connor, das eine von 1964, das andere von 1974, zeigen wie er die gleichen Fragen an Marcel Duchamp und an Merce Cunningham stellt). Er bringt die Zeitlichkeit der aufgezeichneten Themen durcheinander (das Zusammentreffen von Leo Castelli und dem Choreographen wird bei ständigem Hin- und Zurücklaufen des Bandes gezeigt, das wie ein Hindernis für ihre Aktion und ihre Unterhaltung wirkt) und schafft Anachronismen (während einem Gespräch von Marcel Duchamp taucht das Bild seines Grabs auf, und es wird das rätselhafte Porträt von Descartes sichtbar).
Merce and Marcel 
huldigt Marcel Duchamp, dessen Werk und Geist Nam June Paik und Merce Cunningham geprägt haben. 1968 hat der Choreograph La Mariée mise à nu par ses célibataires, même in einem Werk mit dem Namen Walk Around Time adaptiert. Merce By Merce By Paik vereint Fluxus und Dada durch kurze Äußerungen über die Kunst. Nam June Paik sagt diesen berühmten Satz: " Video is a vacation of art " 3, und beendet dann das Band, indem er Marcel Duchamp, der Constantin Brancusi zitiert, das letzte Wort gibt: "Art is a mirage" 4

Thérèse Beyler

1 " Ist das Tanz? "

2 " Ja, vielleicht. Warum nicht? "

3 " Das Video ist keine Kunst. "

4 " Kunst ist Illusion. "